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Versicher­er und digitale Ökosysteme

Geschrieben von Melanie Hoppen | 16.09.2018

 

Die Digitalisierung stellt Versicherungsunternehmen vor existenzielle Herausforderungen. Die von den großen Internetkonzernen geschaffenen Plattformen verändern das Verhalten der Konsumenten nachhaltig. Und damit einhergehend besteht die Gefahr, dass der Kundenzugang für die Versicherungswirtschaft verloren geht. Der Frage nach der Beteiligung an Ökosystemen kommt eine Schlüsselrolle zu.

Wohl nur wenige Manager können sich noch an die heile Welt des Versicherungsvertriebs erinnern. Ausschließlichkeitsvertreter lebten von der Vernetzung auf lokaler Ebene in ihrer Stadt. Sie kannten ihre Kunden persönlich und wurden oftmals durch persönlichen Kontakt empfohlen. Trat ein Schaden ein, wandte sich der Versicherte nicht selten zuerst an seinen Vertreter. Er war die Schnittstelle zum Kunden schlechthin.

 

Um den Kundenzugang buhlen längst andere

Mit der zunehmenden Vernetzung hat sich diese Welt radikal verändert. Zusätzliche Vertriebskanäle entstanden und mussten integriert werden. Zuerst war da die eigene Website der Versicherungsunternehmen, dann traten Vergleichsportale auf den Plan. Eine einschneidende Zäsur, denn die Vergleichsportale reduzieren die Versicherungsgesellschaften zu reinen Produktgebern und vor allem auf den Preis. Gesellschaften, die sich ihre Premium-Produkte mit hohen Margen nicht beschädigen lassen wollten, versuchten wenigstens durch die Schaffung von preiswerten Tarifen, besonderen Labels oder einer Direktversicherung an der Entwicklung zu partizipieren.

Auf der anderen Seite spüren alle Versicherer nach wie vor einen hohen Druck durch die operativen Kosten. Zentrale Service-Center übernahmen die Rolle des Vertreters vor Ort und die Automatisierung der Antrags-, Vertrags- und Schadenprozesse trug ebenso dazu bei, dass der Kontakt mit dem Kunden immer seltener wurde.

Doch weniger Kontakt bedeutet auch weniger Wahrnehmung bei den Kunden. Auf der anderen Seite sind die großen Internetkonzerne wie Google, Facebook und Amazon mehr oder weniger dauerhaft im Leben der Kunden präsent. Und gerade Amazon wird inzwischen großes Interesse an einem Einstieg in den Vertrieb von Versicherungsprodukten nachgesagt. Mit Apps oder smarten Lautsprechersystemen haben sich die Konzerne tief im Alltag der Konsumenten verankert. Das spüren inzwischen viele Händler und Markenhersteller. Wer auf Google oder Amazon nicht gefunden wird, findet in den Köpfen der Verbraucher nicht mehr statt.

Als wäre das nicht schon Bedrohung genug, versuchen sich immer mehr Startups und Fintechs zwischen Versicherung und Kunde zu schieben. Ihre Geschäftsmodelle bedienen das geänderte Nutzerverhalten, dessen sichtbarstes Symbol das Smartphone ist. Und so verkaufen die neuen Marktteilnehmer Ad-hoc-Versicherungen oder vergleichen permanent im System hinterlegte Verträge ihrer Kunden, um ihnen einen reibungslosen Wechsel zu ermöglichen.

Es sind aber nicht nur Startups, die mit den tradierten Versicherern um den Zugang zum Kunden und um dessen Wahrnehmung konkurrieren. Auch etablierte Branchen und Unternehmen entdecken plötzlich das Thema Versicherung für sich.

  • Banken sind durch gesetzliche Regulierung (etwa PSD2) stark gebeutelt und haben durch das anhaltende Niedrigzinsniveau den Bedarf, neue Erlösquellen zu erschließen.
  • Energieversorger besetzen zunehmend das Thema „Smart Home“ und ergänzen hier den Bereich Security und Surveillance mit einer passenden Hausratversicherung.
  • Die Automobilindustrie versucht, ihre Fahrzeuge „smart“ zu machen. Die Telematik in den Fahrzeugen kann dann zur Analyse des Fahrverhaltens der Kunden genutzt werden, um darauf basierend einen passenden Tarif einer PKW-Versicherung zu verkaufen.
  • Telekommunikationsunternehmen besetzen das Thema Sicherheit rund um die Vernetzung und bieten dann auch gleich eine Cyber-Security-Police mit an.

So verwundert es kaum, dass sich quer durch alle Branchen Unternehmen darüber Gedanken machen, wie sie an der Seite von Google, Amazon & Co weiter bestehen können. Denn den Konzernen ist es gelungen, ein Ecosystem rund um ihre Produkte aufzubauen. Welche Macht dahinter schlummert, zeigt das Beispiel Apple. Mit seiner Apple Watch misst das Unternehmen Schlaf- und Bewegungsdaten der Träger. Und über die dazugehörende App hat das Unternehmen die Nutzer zur Teilnahme an einer Studie aufgerufen. 54.000 Personen haben sich daran beteiligt. So konnte die Stanford University deutlich mehr Daten sammeln als sonst üblich.

 

Konsequenzen für die Versicherungswirtschaft

Es erscheinen zwei Strategien für die Versicherer denkbar, um den weiteren Verlust des Kundenzugangs und des eigenen Bedeutungsverlusts aufzuhalten.

  1. Die Schaffung von Schnittstellen (APIs), um darüber auf den Plattformen anderer Partner Dienstleistungen und Produkte anzubieten. Bei etablierten Plattformen aus der Reisebranche, dem Einzelhandel, Energieversorgern oder auch der Immobilienwirtschaft kann so die Kundenbasis zügig erweitert werden. Die Nutzer erhalten Zugriff auf weitere Angebote, was den Verbleib auf der Plattform begünstigt und deren Bedeutung wachsen lässt. Dieser Weg ist aber auch riskant. Denn zum einen gibt der Versicherer einen Teil seines Einflusses auf die Schnittstelle zum Kunden auf. Zum anderen ist auch eine Austauschbarkeit des Angebots gegeben. Tritt ein anderer Versicherer auf den Plan und bietet dem Plattformanbieter bessere Konditionen oder mehr Produktfeatures, wird dieser im Zweifel wechseln
  2. Aufbau eigener Ökosysteme und Plattformen, in denen der Versicherer eigene Stärken sieht. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der geänderten Kundenmentalität sind verschiedene thematische Bereiche denkbar: Smart Home, Gesundheit, Sicherheit (auch Cybersecurity) oder auch Wohnen im Alter. Damit ein solches neues Angebot bei den Kunden aber auch wahrgenommen wird, bedarf es nicht nur starker Dienstleistungen, sondern auch starker Partner, um etwa von deren Markenbekanntheit zu profitieren. Der Vorteil dieser Strategie besteht im Kern darin, dass die Hoheit über den Kundenkontakt beim Versicherer verbleibt und er einen echten Mehrwert für die Kunden bieten kann. Um die Zeit zu nutzen, bis ein eigenes Ökosystem entstanden ist, bietet sich ein hybrider Ansatz an.

 

Hohe Anforderungen an die IT

Unabhängig von der gewählten Strategie ergeben sich für die Versicherer deutliche Herausforderungen an ihre IT-Landschaft. Die Plattform-Ökonomie macht nicht nur die Schaffung und Öffnung von APIs erforderlich. Es muss darüber auch möglich sein, Drittanbieter schnell und kostengünstig anzubinden. Geschwindigkeit ist hier ein absolutes Muss. Der Weg zum Ökosystem macht es letztlich erforderlich, nicht nur Kunden und deren Lebenssituation zu verstehen, sondern entlang relevanter Ereignisse in dessen Leben (Berufseintritt, Immobilienerwerb usw.) geeignete Services zu entwickeln. Unabdingbar ist es, die eigenen Kernservices hocheffizient und möglichst automatisiert zu betreiben.

Denn Automatisierung, Effizienz und Geschwindigkeit sind diejenigen Eigenschaften, durch die sich die erfolgreichsten Unternehmen in der Welt der Ökosysteme auszeichnen.

 

 

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