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Versicherungs­­betrug mit KI identifizieren

Geschrieben von Volker Illguth | 31.07.2019

Warmer Abriss, geplante Crashs oder teure Phantom-Klunker: Die Liste der Erscheinungs­formen von Versicherungsbetrug ist lang – der Schaden gewaltig. Auf mittlerweile fünf Milliarden Euro beziffert der Gesamt­verband der Deutschen Versicherung­wirtschaft (GDV) den Schaden, der den Unternehmen dabei jährlich entsteht. Die Handlungen in krimineller Bereicherungs­absicht machen dabei vor keiner Sparte halt, überall haben Betrüger ihre Maschen und Muster entwickelt, um unberechtigte Schaden­zahlungen zu erzwingen. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass Versicherer ein konsequenteres Vorgehen gegen Versicherungs­betrug und -missbrauch planen. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Automatisierung der Schaden­prozesse und dem Einsatz neuer Technologien. Auch im Bereich der InsurTechs hat sich mittlerweile eine Anti-Fraud-Community gebildet: Diese Startups haben vielversprechende Lösungen für ganz individuelle Heraus­forderungen entwickelt – bei vielen lautet das Zauberwort KI (Künstliche Intelligenz). Wir haben uns mit unseren Experten Karsten Schmitt und Marco Peisker unterhalten, welche Entwicklungen in der Betrugs­bekämpfung zu beobachten sind und wo wir hier stehen.

 

Karsten, Du kennst den Versicherungs­markt sehr genau. In welchen Sparten treten die Fälle am häufigsten auf, die der Ver­sicherungs­wirtschaft diesen hohen Schaden verursachen?

Karsten Schmitt: Nun, allem voran muss gesagt werden, dass der typische Versicherungs­betrüger nicht leicht zu charakterisieren und zu erkennen ist. Die Täter finden sich in allen sozialen Schichten und reichen vom Gelegenheits­täter bis zur organisierten Kriminalität. Die Gelegenheits­täter nutzen oftmals tatsächlich stattgefundene Schadens­ereignisse und manipulieren z. B. den Schaden­hergang oder die Schadenbilder. Im Gegensatz dazu gehen die Täter im organisierten Bereich mit einem hohen Maß an kriminneller Energie und einer hohen Professionalität vor. Signifikante Schäden werden fast überall festgestellt – ob Haftpflicht- und Hausrat­versicherung, Kranken- und Unfall­versicherung oder Rechtsschutz. Die KFZ-Versicherung ist aber diejenige Sparte, die allein für etwa die Hälfte des Gesamt­schadens verantwortlich sein soll. Sprich­wörtlich wird da aus schnödem Blech schnell ein Goldbarren, so dass sich aufgrund der Häufigkeit von Schäden und der regelmäßigen Schadenhöhe der Einsatz einer automatisierten Betrugs­erkennung anbietet. Ob diese dann durch ein optimiertes Experten­regelwerk oder eine KI vorgenommen wird, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass eine angemessene Lösung erfolgreich umgesetzt wird.

Erfolgreich ist ein gutes Stich­wort. Woran zeigt sich Deiner Ansicht nach der Erfolg eines solchen Projekts und wie geht Ihr dabei vor?

Karsten Schmitt: In den Projekten zur Betrugs­erkennung gibt es zwei klare Erfolgs­kriterien, die in enger Verbindung stehen: Erstens, so viele dubiose Versicherungs­fälle wie möglich zu finden, zweitens dabei so wenige falsch identifizierte Betrugsfälle – sogenannte „False Positives“ – zu erhalten wie möglich. Das ist extrem wichtig für den anschließenden Workflow. Der Start eines Projekts zur Implementierung eines Experten­regelwerks folgt dabei dem klassischen Projekt­vorgehen und setzt gleicher­maßen auf fachliche wie technische Expertise. Hier haben wir die entsprechenden Spezialisten an Bord. Die KI-Projekte hingegen erfordern ein etwas anderes Vorgehen. Die wesentliche Anforderung ist hier das präzise Erkennen von Auffällig­keiten und Zusammen­hängen in einer großen Datenmenge. Um das erfolgreich umzusetzen, haben wir das Vorgehensmodell „Building AI-based Systems“ entwickelt, mit ganz konkreten Projekt­phasen, Rollen und Ver­ant­wort­lich­keiten. Unserer Ansicht nach eignet sich KI für die Betrugs­erkennung im Ver­sicherungs­umfeld ganz besonders gut, denn es gibt eine Menge an Daten und ein klares Erfolgs­kriterium, wie eingangs erwähnt.

Zu Beginn wurde gesagt, dass Versicherer in Zukunft noch konsequenter gegen Ver­sicherungs­betrug vorgehen wollen. Woran liegt das und was bedeutet das für die Zukunft?

Karsten Schmitt: Ja, richtig. Das Thema findet momentan viel Beachtung, wobei die Motivation für das zunehmend striktere Vorgehen ganz unterschiedlich ist. Sei es die zunehmende Null-Toleranz-Haltung und das Bemühen um Schutz der sich korrekt verhaltenden Versicherungs­nehmer, die angespannte Kostensituation oder das zunehmend strengere regulatorische Umfeld. Viele Versicherungs­unternehmen haben erkannt, dass sich eine Investition in IT-Modernisierung und Prozess­automation eindeutig lohnt, gerade in diesem Bereich. Betrachtet man den internationalen Markt für Fraud Detection, so sind zahlreiche neue Engagements zu beobachten. Schenkt man den aktuellen Prognosen Glauben, so soll der weltweite Markt für Betrugs­erkennung und -prävention in den nächsten Jahren um bis zu 25 Prozent wachsen – und zwar jährlich. Als Treiber für dieses Wachstum werden die Fortschritte bei der Rechen­geschwindig­keit, dem maschinellem Lernen und den diversen Formen von KI gesehen. Wir haben auf dem Gebiet der datenbasierten Betrugs­erkennung im In- und Ausland viel Erfahrung gesammelt. Wir sind also sehr gut aufgestellt, um unsere Kunden bestmöglich zu unterstützen und ihnen auch bei diesem Thema zum Erfolg zu verhelfen.

Einen Beitrag zu diesem Fortschritt leisten vermutlich auch die Startups. Marco, Du hast stets ein wachsames Auge auf den Insurtech-Sektor. Was passiert in diesem Bereich und was kennzeichnet die dortigen Entwicklungen?

Dr. Marco Peisker: Da passiert gerade sehr viel. InsurTechs sind äußerst spannende Unternehmen, denn sie besitzen einen initialen Vorteil. Sie starten mit ihrem Produkt auf der grünen Wiese, können dadurch ihr Know-how und Produkt sehr agil und vor allem schlank entwickeln und dieses erst später mit anderen Systemen bzw. Produkten verbinden, z. B. durch die Nutzung offener Schnitt­stellen. Die derzeitigen Entwicklungen zeigen aber, dass der Hype um InsurTechs an Fahrt verliert. So nimmt die Zahl der getätigten Investments ab, die Investitions­höhe aber tendenziell zu. Meiner Ansicht nach hat sich die Technologie­basis damit konsolidiert. Das zeigt sich auch darin, dass sich die Startups vermehrt in Kooperationen mit gestandenen Playern hineinbegeben, wovon dann beide Seiten profitieren. Aktuell gibt es etwa ein Dutzend InsurTechs, welche durchaus viel­versprechende Ansätze entwickelt haben, die im Rahmen des Betrugs­managements zur Anwendung kommen können.

Und was sind diese viel­versprechenden Ansätze bei der Betrugs­erkennung?

Dr. Marco Peisker: Konkrete Beispiele hierfür sind etwa die auf maschinellem Lernen basierenden Ansätze zur Betrugs­erkennung oder zur Work­flow­steuerung. Außerdem die optische Prüfung von Belegen und Schadenbildern, die gerade für die steigende Zahl an digitalen Dokumenten relevant ist, oder auch sogenannte Crawler, die das Internet nach angeblichem Diebesgut absuchen und so helfen, einem möglichen Betrug auf die Spur zu kommen. Spannend ist dabei, dass sich die Erkennung von dubiosen Versicherungs­fällen durch den Einsatz künstlicher Intelligenzen entscheidend verbessert hat. Früher lag die Auf­deckungs­quote bei mehr oder minder zehn Prozent. Heute können schon bis zu 75 Prozent der Betrugsfälle mit dieser Technologie erkannt werden. Das ist ein großer Fortschritt, insbesondere für die sich daran anschließende Output-Verarbeitung. Leider hört hier bei vielen Unternehmen das Lösungs­angebot auf. Wir verfolgen daher den Ansatz, den Kunden durch den gesamten Prozess des Betrugs­managements zu begleiten.

Du hast es eben bereits angesprochen, derzeit wird viel über maschinelles Lernen, ein Teilgebiet der KI bzw. der Bild­analyse gesprochen. Wie kann der aktuelle Status quo dieser Technologien beschrieben werden und welche Vor- oder auch Nachteile lassen sich feststellen?

Dr. Marco Peisker: In diesem speziellen Bereich finde ich die automatisierte Analyse von Schaden­bildern besonders interessant. Der Einsatz sogenannter Convolutional Neural Networks (CNN), einer Spezialform künstlicher neuronaler Netze, ermöglicht es den eingesetzten Systemen, auf den Bildern konkrete Objekte zu erkennen oder diese sogar bestimmten Schadens­zenarien zuordnen zu können. Kombiniert mit Methoden der Bild­forensik werden damit sehr effektive Werkzeuge zur Betrugserkennung geschaffen. So kann z. B. festgestellt werden, ob die vom Ver­sicherungs­nehmer übermittelten Bilder nach­bearbeitet wurden (sog. ELA-Verfahren) und anhand der Meta-Daten ist das Auslesen des ursprünglichen Auf­nahm­zeit­punktes möglich. Diese Verfahren stoßen jedoch dann an ihre Grenzen, wenn der zugrundeliegende Sach­bearbeitungs­prozess nicht auch entsprechend angepasst wurde. Werden die Schaden­bilder beispielsweise analog eingereicht oder die digital übermittelten Bilder innerhalb der Post­eingangs­bearbeitung „analogisiert“ und wieder „re-digitalisiert“, dann sind viele der verfügbaren Lösungen nur stumpfe Schwerter. Insbesondere die Auswertung der Meta-Daten wird damit hinfällig, die für die Betrugs­aufklärung aber ausgesprochen wertvolle Informationen bietet.

Fahren wir fort mit der Künstlichen Intelligenz. Oftmals eilt dieser Technologie der Ruf voraus, eine Art von Black Box zu sein. Welche Grenzen hat für Dich KI und wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

Dr. Marco Peisker: Ja, tatsächlich sehe ich den Einsatz von „klassischen“ Ansätzen des maschinellen Lernens ebenfalls kritisch, gerade in der Betrugs­erkennung. Künstliche neuronale Netze sind per se sehr wirksam. Sie treffen selbstlernend Entscheidungen und erkennen dabei Zusammen­hänge, die für menschliche Bearbeiter nicht auf Anhieb zu erkennen sind. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Black-Box-Verfahren, bei dem eine Vielzahl von Daten automatisch analysiert und die zugehörigen Objekte klassifiziert werden. Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt. Der Grund für die Bewertung bleibt dem Betrugs­spezialisten oftmals verborgen, so dass er dies noch einmal mühsam und kosten­intensiv nachvollziehen muss. Gerade bei der Ablehnung von Schadens­zahlungen und aus Revisions­sicht ist eine umfassende Begründung der Bewertung und Klassifizierung aber unverzichtbar. Hier liegt die Lösung meiner Meinung nach in der ständigen Erweiterung der klassischen regel­werk­basierten Experten­systeme um neuere Ansätze des maschinellen Lernens. So kann die KI beispielsweise die von Experten erstellten und für den menschlichen Bearbeiter verständlichen Regeln laufend evaluieren und verbessern. Das kann die Treffer­präzision signifikant erhöhen. Weiterhin sollte man auch die noch jungen White-Box-Verfahren ins Auge fassen. Die Explainable Artificial Intelligence (XAI) bietet vielversprechende Möglichkeiten, um die Entscheidungen von KI-Systemen nachvollziehbar und folglich transparent zu gestalten. Diese Technologie steckt zwar noch etwas in den Kinderschuhen, doch die heute bereits absehbaren Potenziale sind vielversprechend.

Karsten, diese Frage begegnet Dir sicher sehr oft. Die Akzeptanz neuer Technologien ist stets auch eine Frage der Referenzen. Womit können wir in Sachen KI und Betrugs­erkennung  konkret punkten?

Karsten Schmitt: Richtig, ohne Referenzen geht nur selten eine Tür auf. Wir haben in der Vergangenheit zahlreiche KI-Projekte sehr erfolgreich zum Abschluss gebracht. Darunter ist auch eine Künstliche Intelligenz, die zur Betrugs­erkennung in der Privaten Kranken­ver­sicherung eingesetzt wird. Die Anwendung ist in der Lage, automatisch aus der Vielzahl der Abrechnungen auffällige Vorgänge herauszufiltern und diese den Sachbearbeitern zur Prüfung vorzulegen. Die PKV ist eine Sparte, die bisher noch nicht im primären Blickfeld der Betrugserkennung steht. Von daher macht uns diese erfolgreiche Implementierung besonders stolz. Selbst­verständlich gibt es aber auch noch zahlreiche weitere Projekte.

Eine abschließende Einschätzung: Wie wird sich aus Deiner Sicht der Bereich der Betrugs­erkennung in Zukunft entwickeln?

Karsten Schmitt: Eine systematische Behandlung von betrügerischen Versicherungs­fällen wird für Versicherungs­unternehmen zunehmend unverzichtbar. Altbekannt ist, dass Betrüger der Versicherungs­wirtschaft meist einen Schritt voraus sind. Die eben gezeigten Technologie­ansätze helfen aber dabei, den Rückstand aufzuholen und den Fuß schneller an den Ball zu bekommen. Meiner Ansicht nach wird die Betrugs­erkennung aufgrund der zunehmenden Präzision der zuvor erwähnten  Technologien noch weiter automatisiert werden und somit noch stärker zu einer nachhaltigen Senkung von Schaden­kosten beitragen. Das nützt zugleich auch der Versicherten­gemeinschaft. Insbesondere die KI-basierte Betrugs­erkennung wird sich zu einem integralen Bestandteil und damit zu einem Standard im modernen Schaden­management entwickeln.

 

Interviewteilnehmer:

Karsten Schmitt ist bei der adesso insurance solutions GmbH als Senior Business Development Manager im Bereich Bestands­führung und Schaden­management tätig sowie für die intelligente Strukturierung von Daten zuständig.

Dr. Marco Peisker ist Managing Consultant der adesso AG und beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der Digitalisierung in der Versicherungs­wirtschaft, insbesondere mit dem optimalen Einsatz von intelligenten Systemen zur Betrugsabwehr und Workflow-Steuerung.

 

Sie möchten mehr zu unseren KI-Lösungen für Betrugsidentifikation und Schadenfallabwicklung erfahren? Dann nehmen Sie direkt Kontakt mit unserem Experten Karsten Schmitt auf!