Anfang des Jahres sorgte eine Auswertung auch abseits der Uhrenbranche für Aufsehen. Das Beratungsunternehmen Strategy Analytics ermittelte, dass Apple im Jahr 2019 von seiner Apple Watch mehr Exemplare verkauft hat als die gesamte Schweizer Uhrenindustrie zusammen.
Wenn IT-Konzerne mehr wissen als Versicherer
31 Millionen seiner smarten Armbanduhren konnte Apple demnach im Jahr 2019 an den Mann bringen. Dem stehen 21 Millionen Uhren aus der gesamten Schweiz gegenüber.[1] Wie bekannt zeigt eine Smartwatch mehr als nur die Zeit. Sie erinnert den Nutzer an Termine oder weist ihn auf eingehende WhatsApp- oder SMS-Nachrichten hin. Das ist ohne Zweifel praktisch, aber die Mehrzahl der Käufer einer Apple Watch wird sich diese aufgrund der Fitness- und Gesundheitsfunktionen angeschafft haben. Denn Apple positioniert den kleinen Computer am Handgelenk als Gesundheitsvorsorgeprodukt und Unterstützer eines gesunden Lebensstils. Das Gerät misst den Puls des Trägers, ermittelt die von ihm zurückgelegten Wegstrecken und kann sogar Stürze erkennen. Und dank Gamification wird der Besitzer von der Uhr auch regelmäßig zu neuen Höchstleistungen angespornt.
Vordergründig sind das gute Verkaufsargumente für ein solches Gerät. Im Zentrum steht die Gesundheitsvorsorge für die Nutzer. Oder doch nicht? Wohl eher dürfte Apple an einem wichtigen „Nebenprodukt” interessiert sein, das für Tech-Unternehmen den eigentlichen Wert darstellt: Unendlich viele Daten über die Anwender. Wie wichtig diese Informationen für die Unternehmen tatsächlich sind, zeigt Google. Der US-Konzern hatte keine Fitness-Geräte im Angebot. Und so kaufte die Suchmaschine kurzerhand für über 2 Mrd. US-Dollar das Unternehmen Fitbit, das Fitness-Tracker produziert.
Informationen zur Fitness der Konsumenten, statistische Verteilungen zu Herzrhythmusstörungen und natürlich Bewegungsprofile: Alles wertvolle Daten, die auch der Versicherungswirtschaft helfen könnten.
Digital Health eröffnet neue Geschäftsmodelle
„E-Health” oder „Digital Health”, also Anwendungen rund um Gesundheit und Fitness sind zu einem lukrativen Markt geworden. Gerade im Personenbereich eröffnen solche Lösungen auch Versicherern neue Chancen.
Besonders naheliegend sind Tarifmodelle, die ein gesundes Leben der Versicherten fördern, auch wenn es in Europa und besonders in Deutschland im Vergleich zu den USA Grenzen gibt. Stichwort Datenschutz: Sachverhalte, an denen sich US-Bürger aufgrund ihrer anderen Mentalität nicht stören, können bei deutschen Konsumenten schnell zu Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre führen. Und ein im Oktober 2019 in den Bundestag eingebrachter Entschließungsantrag, der sich gegen solche „Telematik-Tarife” in der Krankenversicherung richtet, soll derlei Produkte gleich ganz verhindern. Der PKV sprach in einer anschließenden Mitteilung von einer Phantomdebatte.
Offenbar herrscht große Angst davor, die berühmte Büchse der Pandora zu öffnen. Also ein Datenschatz, der nutzlos ist? Weit gefehlt. Rein formell betrachtet liefern die Nutzer freiwillig jede Menge Daten, die für Produktmanager und Versicherungsmathematiker nach wie vor wertvoll bleiben.
Kooperationen als neue Vertriebsplattform nutzen
„Health” von Apple, „Fit” von Google und auch „Health Mate” des Unternehmens Withings sind zentrale Datenspeicher auf den Smartphones der Nutzer. Sie führen die verschiedenen Bio-Parameter der Anwender aus unterschiedlichen Geräten an einer Stelle zusammen. Der Konsument erhält so einen Statusbericht über seine körperliche Fitness.
Sie sind Beispiele für Apps, die von Konsumenten genutzt werden, denen ihre Gesundheit am Herzen liegt, die sich für körperliche Fitness interessieren und die sich offensichtlich gern bewegen. Und die Welt der Apps kennt noch so viel mehr Programme als die der US-Konzerne. So kann es für Versicherungsunternehmen lohnenswert sein, sich aktiv auf die Suche nach Kooperationspartnern zu begeben. Die Gewinnung (anonymisierter) Daten ist hier nur eine Facette.
Als Ergebnis von Kooperationen sind aus Sicht der Versicherer weitere Einsatzszenarien denkbar:
Was die Versicherungs-IT dafür leisten muss
Völlig unabhängig vom gewählten Vorgehensmodell haben alle diese Strategien unmittelbare Auswirkungen auf die IT des Versicherers. Apps und App-Anbieter liefern unzählige Daten- und Messpunkte. Um aus ihnen die richtigen Schlüsse zu ziehen, belohnenswertes Verhalten herauszufiltern oder die Daten als Berechnungsgrundlage zu nutzen, muss Durchlässigkeit in die eigenen Systeme geschaffen werden. Es bedarf Schnittstellen, die vorzugsweise über die Cloud funktionieren. Diese stellt die Basis der meisten am Markt erhältlichen Apps dar.
Um schnell auf neue Trends im dynamischen E-Health-Umfeld reagieren zu können, sind agile Arbeitsmethoden notwendig. Traditionelles Prozess- und Projektdenken sind hier schlicht zu langsam.
Und damit aus Daten Erkenntnisse und Ideen für neue Produkte gewonnen werden können, braucht es Analysen. Um in riesigen Datenmengen überhaupt Muster zu erkennen, die zu Hypothesen und Erkenntnissen führen, ist der Einsatz von KI geradezu prädestiniert. Digital Health verspricht viele Chancen für die Versicherungswirtschaft, wenn sie denn ihre Hausaufgaben erledigt.
[1] https://www.horizont.net/tech/nachrichten/auswertung-apple-verkauft-mehr-uhren-als-die-komplette-schweizer-uhren-industrie-180645