Die Digitalisierung ist in allen Branchen eine massive Herausforderung. Für Versicherungen bieten sich damit enorme Potenziale für neue Geschäftsmodelle und eine Verbesserung der Kundenerfahrung.
Die Ankündigung des hauseigenen Venture-Arms der Allianz für ein neues Kundenportal hat in den Fachmedien ordentlich Wellen geschlagen. „Iconic Finance“ soll der Arbeitstitel der Plattform sein, auf der sich nicht alles nur um Versicherungen drehen wird. Wie Branchenmedien berichten, ist es das Ziel, dem Kunden dort 360-Grad-Analysen rund um Vorsorge und Finanzen zu bieten. Von einem „kompletten Ökosystem“ ist die Rede.
Open Banking ermöglicht neue Perspektiven
Auch wenn der Realisierungstermin einer solchen Plattform noch nicht bekannt ist, weist der Schritt in die Zukunft der Versicherungsbranche. Die Allianz verlässt gewohntes Terrain und tritt in direkten Wettbewerb zu ähnlichen Portalen, die sich mit Tarifvergleichen und dem Vertragsmanagement der Kunden beschäftigen. Das erscheint auf den ersten Blick riskant. Digitalisierung bedeutet aber eben auch, dass der deutsche Spruch vom Schuster, der lieber bei seinen Leisten bleiben solle, eben nicht mehr gilt.
Denn ohne Zweifel genießt das Unternehmen Allianz und seine Marke große Bekanntheit und auch Vertrauen bei den Verbrauchern. Der über viele Jahre penetrierte Slogan „Hoffentlich Allianz versichert“ dürfte noch Wirkung zeigen und das gewonnene Vertrauen auf die Plattform übergehen. Die Glaubwürdigkeit von Analysen und Empfehlungen, die Konsumenten darüber erhalten, ist somit von Anfang an hoch.
Zugleich bietet eine eigene Plattform die Chance, sich über einen längeren Zeitraum gegenüber den Kunden als verlässlicher Partner zu positionieren. Der Kundenzugang wird gestärkt und es werden mehr Berührungspunkte mit dem Versicherer geschaffen. Das wirkt sich positiv auf die Loyalität der Konsumenten, die in allen Branchen erodiert, aus.
Technologisch baut die Plattform auf der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 (Payment Services Directive2) auf. Mit ihr verliert die Kreditwirtschaft den exklusiven Zugang zu den Daten ihrer Kunden. Über standardisierte Schnittstellen müssen demnach auch andere Anbieter, wenn vom Kunden dazu autorisiert, auf die Kontodaten zugreifen können. Das inzwischen auch als „Open Banking“ bekannte Phänomen bildet die Grundlage für umfassende Finanzanalysen. Statt sich auf ungefähre Zahlen zu verlassen, könnten Berater und KI-gestützte Systeme auf Basis konkreter Daten aus den Kontoinformationen Konzepte für den Kunden entwickeln.
Schnittstellen sind die neue DNA der (Versicherungs-) Wirtschaft
Die PSD2 ist ein Beispiel für die Kraft, die definierte Schnittstellen entfalten. Der Erfolg großer Plattformen wie Facebook oder Google besteht nicht zuletzt in der Definition von APIs (Application Programming Interface). Diese ermöglichen es Dritten, eigene Angebote rund um einen zentralen Service zu entwickeln. So steigern sie die Attraktivität des Kernangebots und ziehen Nutzer an. Vorteil für den Anbieter der API: Er hat für diese zusätzlichen Angebote keine Entwicklungskosten. Gleichzeitig können solche Ergänzungen und Erweiterungen die Nutzererfahrung für die Kunden verbessern.
Per API zur kostensparenden Schadenabwicklung
Wie jüngst der „Branchenkompass Insurance 2019“ ermittelt hat, sehen die Verantwortlichen in Versicherungen große Einsparpotenziale im Bereich der Schadenabwicklung. Mithilfe von Automatisierungen, Online-Meldungen von Schäden und KI zur Betrugserkennung lassen sich hier dauerhaft die Kosten senken.
Der moderne Kunde ist es inzwischen gewohnt, mit seinem Smartphone rund um die Uhr einkaufen zu können oder sich über Produkte zu informieren. Der optimale Prozess für eine Schadenmeldung für diese Zielgruppe sähe so aus, dass der Versicherte sich online oder direkt in der App des Versicherers mit seinem Schaden meldet. Mit der Kamera des Smartphones nimmt er dann auch gleich Fotos des Schadens auf und lädt diese hoch. Bereits durch die Vermeidung eines Medienbruchs und die automatisierte Übertragung aller notwendigen Daten spart der Versicherer Kosten und Zeit. Und der Versicherte erhält einen reibungslosen Ablauf mit seiner Gesellschaft.
Dort werden die Daten automatisiert auf Plausibilität geprüft und etwa mittels eines KI-Systems analysiert. Und das alles deutlich schneller als es Sachbearbeitern möglich wäre.
Kein Versicherer muss einen solchen Prozess vollständig in aller Ausführlichkeit entwickeln. Bildanalysen, Plausibilitätsüberprüfungen und KI-Systeme könnten als Service bei Dritten eingekauft werden, beispielsweise bei Systemhäusern oder InsurTechs.
Damit aus den einzelnen Bausteinen aber ein durchgängiger Prozess wird, braucht es APIs, die einen freien Austausch von Daten ermöglichen. Die per API verbundenen Systeme folgen ihrem jeweiligen Zweck und arbeiten autonom, d. h. sie geben nach Abschluss einer Aufgabenstellung das Ergebnis wieder über die Schnittstelle zurück.
Um von den neuen Möglichkeiten der Schnittstellenwirtschaft zu profitieren, müssen Versicherer zwei Voraussetzungen erfüllen: den Mut besitzen, über neue Geschäftsmodelle nachzudenken und damit auch über bisherige Grenzen hinauszugehen.
Außerdem müssen sie ihre IT-Systeme in Richtung größerer Durchlässigkeit trimmen, d. h. singuläre Datentöpfe auflösen, proprietäre Anwendungen ablösen und sich APIs zuwenden.